10 Tipps, mit denen deine digitale Bildungsveranstaltung garantiert ein Reinfall wird

Seit knapp drei Jahren haben digitale Formate in der Bildungslandschaft so etwas wie Normalität erreicht. Viele Monate, in denen wir digitale Technologien, Formate, Tools und Methoden entdeckt, ausprobiert, verflucht und bejubelt haben. Auch wenn sich manche wünschen, dass die digitale Transformation nur eine Übergangslösung ist und es möglichst bald wieder analog weitergeht, so ist die überwiegende Meinung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in der Erwachsenenbildung, mit denen ich in den letzten Monaten zusammengearbeitet habe, dass die Digitalisierung die Bildungslandschaft nachhaltig positiv verändern wird und digitale Angebote neben den analogen weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden.

Wenn ich in meinen Fortbildungen und Trainings mit den Teilnehmer*innen über genau diese digitalen Angebote spreche und darüber, wie wir sie möglichst attraktiv, interaktiv und ansprechend gestalten können, ist eine zentrale Frage: „Was kann ich tun, damit meine digitale Veranstaltung zum Reinfall wird?“, eine Frage, die dazu einlädt, nicht immer ganz ernsthaft über worst practice zu diskutieren und Erfahrungen zu reflektieren. Diese Reflexion spielt bei der digitalen Transformation von Bildungsangeboten eine wichtige Rolle, denn wir befinden uns derzeit zwangsläufig in einer Phase des „Ausprobierens“, einer Phase, in der ich immer wieder dazu ermutige, Erfahrungen und auch Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Aus diesem Grund möchte ich euch in diesem Artikel 10 Tipps geben, mit denen auch eure digitale Veranstaltung (k)ein Reinfall wird:

Tipp 1: Plane deine digitale Veranstaltung genauso wie eine analoge

Wenn wir etwas in den letzten Monaten gelernt und auch erfahren haben, dann die Tatsache, dass digitale Veranstaltungen und Formate anders sind als analoge. Viele Menschen empfinden digital als anstrengender und kräftezehrender, was natürlich mit der eingeschränkten und nicht immer ergonomischen Haltung vor dem PC aber auch mit der für viele ungewohnt langen Bildschirmtätigkeit zu tun hat. Auf der anderen Seite bieten digitale Formate auch komplett neue Möglichkeiten was Interaktion, Kommunikation, räumliche und zeitliche Unabhängigkeit sowie der Zugänglichkeit anbetrifft. So können zum Beispiel lange Vortragsphasen abgekürzt und durch interaktive Gruppenarbeiten mit Rückfrage- und Austauschoptionen im Plenum ersetzt werden, auch ist es möglich, asynchrone Elemente zwischen zwei Veranstaltungsphasen einzubauen. Warum also die Nachteile vorbehaltlos in Kauf nehmen und auf die Vorteile verzichten? Zudem kennen wir alle langweilige und verbesserungswürdige analoge Formate, wo wir uns erhoffen, dass sie durch den Transfer ins Digitale besser werden. Aber das passiert nicht automatisch. Ein bekanntes Zitat von Thorsten Dirks lautet: „Wenn Sie einen Scheißproress digitalisieren, haben Sie einen digitalen Scheißprozess“. Daher: Lasst und den Mut aufbringen, unsere bekannten Angebote umzudenken.

Tipp 2: Arbeitsblätter! Denke unbedingt an Arbeitsblätter!

Wenn ich die schulische Bildungsarbeit betrachte, sehe ich vielerorts einen methodischen Rückschritt zu den klassischen Arbeitsblättern, die entweder per E-Mail, Post oder auch einer Software wie Moodle oder Teams zur Verfügung gestellt werden. Bei der Bearbeitung der Arbeitsblätter geht es weniger um die Wissensvermittlung als Lern- oder Bildungsziel, sondern um eine lineare Wissensabfrage. Lernziele wie die berühmten 4K: (Kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation, Kollaboration), die Charakterbildung (Fragen der Persönlichkeit, Achtsamkeit, Neugier…) sowie das Meta-Lernen (das Lernen über das Lernen) finden hier leider keinen Platz. Arbeitsblätter schränken ein Live-Setting ein und unterbinden Austausch und Interaktion, sie können höchstens für asynchrone Phasen genutzt werden.

Tipp 3: Setze dich bloß nicht mit deiner Arbeitsumgebung auseinander

Etwas gemeinsam mit den Teilnehmer*innen zu erleben, zu erfahren und erforschen ist ein wichtiger Prozess in einer Bildungsveranstaltung. Allerdings sind irgendwann die Grenzen der explorativen Selbsterfahrung erreicht, die Anwesenden müssen sich in einer digitalen Umgebung sicher und in guten Händen fühlen, zumal mit einem Mausklick eine Aufzeichnung oder ein Live-Stream gestartet werden kann. Daher ist es für Bildner*innen die beste nicht-inhaltliche Vorbereitung, die Dienste und Tools zu kennen, mit denen sie arbeiten. Grundlegende Sicherheitsfeatures und Moderationswerkzeuge wie Stummschaltung, Freigabe, Annotation sollten unbedingt beherrscht werden.

Phänomene wie das im Frühjahr 2020 kommunizierte Zoom-Bombing oder auch aktuellere rechtsextreme Übergriffe in Online-Gottesdienste sind kein Zeichen eines unsicheren Formates sondern vielmehr für einen Optimierungsbedarf der eigenen Bedienkompetenz.

Tipp 4: Mache allen deutlich, dass du eigentlich gar keine Lust auf „Digital“ hast

Für einige Bildner*innen sind digitale Angebote lediglich ein Notnagel in der Coronazeit gewesen und es wird schon energisch der Rückkehr zu den guten, alten analogen Formate gewünscht und gefordert. Ohne auf diese Einstellung näher eingehen zu wollen, habe ich eine Bitte: Lassen euch euren Unmut nicht zu sehr anmerken, es sei denn, ihr wollt, dass eure Veranstaltung in der Tat ein Reinfall wird. Aus unserer Schulzeit kennen wir das Phänomen, dass die Qualität eines Unterrichtes mit der Einstellung und dem Engagement der Lehrkraft steigt und so verhält es sich auch in unserer ausserschulischen Bildungsarbeit. Manchmal ist es bei engagierter Antipathie sinnvoller, ein Angebot lieber sein zu lassen als es unter Zwang durchzuführen.

Tipp 5: Kümmere dich nicht um deine Audio- und Videoqualität

Jeder, der schon einmal an einer Videokonferenz teilgenommen hat, wird bemerkt haben, dass die Qualität der verwendeten Mikrofone und Webcams der Teilnehmerinnen sehr unterschiedlich sein kann. Während wir ein schlechtes Bild noch verkraften können, wirkt sich eine schlechte Audioqualität negativ auf die Aufmerksamkeit der Teilnehmerinnen aus. Ihr könnt also eine Veranstaltung methodisch und didaktisch perfekt vorbereiten – wenn euer Mikrofon unangenehme Störgeräusche produziert oder ihr schlecht zu verstehen seid, ist dies für die Teilnehmerinnen ein nicht zu unterschätzendes Negativerlebnis. Achtet daher neben Methodik und Didaktik auch auf die Mathetik, also das Lernen aus der Sicht der Schülerinnen bzw. Teilnehmerinnen. Das Problem liegt auf der Hand: Ich höre nicht, wie andere mich hören. Hier kann man aktives Feedback einsetzen, die Teilnehmerinnen um Rückmeldung bitten und andere respektvoll und höflich auf den schlechten Ton hinweisen oder einfach eine Aufnahme von sich selbst machen, um sich selbst von der eigenen Qualität zu überzeugen.

Tipp 6: Vintage ist in! Verwende möglichst Hardware, die vor dem Jahr 2005 hergestellt wurde!

Wusstest du, dass in Teilen Italiens ein Flip-Flop-Verbot herrscht? Besonders in den Bergregionen passiert es immer wieder, dass Touristen wegen ihres schlechten Schuhwerks in Not geraten und gerettet werden müssen. Nun, du kannst ziemlich sicher sein, dass im Falle eines 15 Jahre alten Laptops kein Rettungshubschrauber kommen wird, du wirst aber die Not bei deiner digitalen Veranstaltung spüren.

Bestimmte Dienste mit bestimmten Funktionen setzen einfach bestimmte Grundvoraussetzungen voraus, und daran können wir einfach nichts ändern. Wenn du beispielsweise den virtuellen Hintergrund im Videokonferenzdienst Zoom nutzen möchtest, brauchst du mindestens einen Core-i5-Prozessor, und wenn du in FullHD (1920x1080px) streamen möchtest, einen Core i7. Wenn zudem parallel der Whiteboarddienst Miro.com genutzt wird, für dessen Nutzung allein bereits 4GB Arbeitsspeicher empfohlen werden, steigt natürlich die Systemlast.

Es wäre an dieser Stelle ziemlich anmaßend zu sagen, „dann kauft euch alle einen aktuellen Computer“, was ja auch vollkommen an der Realität der Zielgruppe vorbeigehen würde. Allerdings wäre jetzt vor allem für den Bildungsbereich ein guter Zeitpunkt zu sagen: „Wenn wir digitale Bildung umsetzen sollen, dann brauchen wir…“ – genau so, wie wir ordentliche Wanderschuhe für eine Bergtour brauchen. Daher ist es unvermeidlich, sich mit einigen technischen Themen auseinanderzusetzen, sehr zum Leidwesen einiger.

Tipp 7: Präsentiere möglichst frontal und ansteckend langweilig

„Wenn alles schläft und einer spricht, so nennt man dieses Unterricht“, witzelte schon Wilhelm Busch über den schulischen Frontalunterricht. Dieses kommunikativ recht einseitige Erlebnis ist ja erst einmal eine Methode, die in einem bestimmten Kontext wie beispielsweise einem Webinar mit 5000 Teilnehmer*innen vielleicht auch Sinn ergibt, einem Format, in dem es um die reine Vermittlung von Informationen von A nach B geht. Aber auch da wird neben dem eigenmotivierten Interesse des Zuhörers ein Höchstmaß an Präsentationskompetenz für den Vortragenden abverlangt. Verwechsle ein solches Format daher nicht mit deiner Bildungsveranstaltung, mit der du vielleicht auch eine extrinsisch motivierte Zielgruppe hast oder gar andere Bildungsziele verfolgen willst als die reine Vermittlung von Informationen.

Tipp 8: Verhindere unbedingt Kommunikation, Agilität und Interaktion

Vielleicht hast du auch schon einmal bemerkt, dass ein großer Teil der interessanten und inhaltlich wichtigen Themen auf analogen Fachtagen in den Pausen, auf dem Flur oder bei einer Tasse Kaffee zwischendurch besprochen wird? Einer der Gründe, warum sich kommunikative Veranstaltungsformate wie beispielsweise das Barcamp immer mehr durchsetzen. Viele haben auch schon die Erfahrung machen dürfen, dass mit dem Grad der persönlichen Einbindung und Beteiligung auch die Aufmerksamkeit und Motivation steigt. Trotz dieser Erkenntnis ist vermehrt zu beobachten, dass die Themen Kommunikation und Beteiligung in digitalen Formaten oftmals vernachlässigt werden. Das fängt an bei einem rein frontalen Format bis hin zur verpflichtenden Deaktivierung von Kamera, Ton und Chat.

Irgendwie ist es paradox. Auf der einen Seite wird bemängelt, dass digital so viel schlechter ist als analog, weil eben das Persönliche, die Interaktion und Kommunikation am Rande der Veranstaltung fehlt oder gänzlich anders ist. Auf der anderen Seite sind so viele Veranstaltungen derart auf die Vermittlung der Inhalte fokussiert, ohne dass in irgendeiner Form an das Informelle und Persönliche gedacht wird, was zum Beispiel durch digitale Pausenräume leicht umzusetzen wäre.

Tipp 9: Zeige Durchhaltevermögen und verzichte auf Pausen

Immer wenn ich die Teilnehmer*innen in meinen Veranstaltungen nach ihren Worst-Practice-Beispielen frage, kommt der Aspekt der Pausengestaltung. Es wurde bereits deutlich beschrieben, warum digitale Formate für viele Menschen anstrengender sind als analoge. Gönn diesen Personen öfter einmal eine Pause zum Aufstehen, zum Arme strecken, zum Luft holen etc. Plane bei längeren Veranstaltungen ruhig alle 60 Minuten 5-10 Minuten eine Pause ein. Wenn gefühlt keine Zeit für Pausen vorhanden sein sollte, könntest du die zeitliche Struktur deiner Veranstaltung in Frage stellen. Vielleicht ist es möglich, ratsam und sinnvoll, einen 8 Stunden Fachtag mit 4×2 Stunden Vortrag lieber auf zwei Tage aufzuteilen?

Tipp 10: Benutze keine Katzenbilder! NIE!

Na gut, über diesen Punkt können wir sprechen. Allerdings finde ich, dass wir gerade in einem Zeitalter mit solchen digitalen Möglichkeiten unsere Angebote attraktiver gestalten und Formate neu denken können. Wir können visueller arbeiten, agiler – mit synchronen und asynchronen Arbeitsphasen, zentral oder dezentral, wir sollten die Vorteile der digitalen Transformation mehr ausnutzen. Wir können durch die multimediale Umgebung schneller und einfacher mehr Freude und Spaß in die Bildung integrieren. Was das alles mit Katzen zu tun hat? Eigentlich nichts, aber vielleicht hilft ja die Text-Bild Kombination, den Inhalt mehr zu verinnerlichen 🙂

Dieser Blogbeitrag wurde zuerst 2021 veröffentlicht und heute neu aufgelegt, u.a. mit Sharebles und Bildern von midjourney

10 Kommentare

  1. Eint Tipp fehlt noch- sich einen Tag vor einer Veranstaltung sich von Kollegen /innen überreden lassen für sie eine Veranstaltung zu übernehmen…

    • Nach dem Motto: „Sei spontan und flexibel was die Vorbereitungszeit angeht!“ … Sehr gut! 😉

  2. Bei Moderation aus dem Homeoffice:
    Bitte deinen Partner / deine Partnerin, sich in Freizeitklamotten hinter dich auf die Couch zu setzen und Chips zu essen.

  3. Führen Sie als Dozierende in Einzelarbeitsphasen unbedingt Privatgespräche im allgemeinen Chatraum. Und während Sie sich ungehört fühlen, lästern Sie über Ihre Kursteilnehmer.

  4. Lasse Deine Veranstaltungen, in denen möglicherweise Zoom-Erstnutzer*innen kommen werden, nicht zu früh beginnen. 3 Minuten vorher reicht aus! Es ist Zeitverschwendung, eine halbe Stunde früher da zu sein und einen Technik-Check anzubieten. Schließlich hast Du anderes zu tun.

  5. 1) Setze dich unbedingt vor ein Fenster oder mach das Licht hinter dir an…
    und
    2) Bloß keine Abwechslung in die Trainings bringen durch die vielen digitalen Tools und virtuellen Möglichkeiten, denn dafür müsste man sich vorher damit auseinandersetzen

  6. Einfach köstlich!
    Apropos: Halte dir noch etwas Spinat oder ähnlich Appetitliches zwischen den Zähnen und wenn du es bemerkst oder darauf hingewiesen wirst… setze dir die Wasserflasche – natürlich spritziges Sprudelwasser – an den Hals, um den Mund auszuspülen. 🤣
    Uuund zu den Katzenbildern: Ich bin ja eigentlich eher der Hunde-Mensch, aber Katzen können ja sooooo süß sein – aber nur auf Fotos! Ich habe zwei hier rumspringen und sehne mir dann meinen Hund zurück, der bei Online-Meetings immer lieb in seinem Körbchen neben mir lag.
    Also: lasst die Katzen vor der Kamera rumturnen, um die Stimmung etwas aufzulockern! 😜

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