10 Tipps, mit denen Ihre digitale Bildungsveranstaltung garantiert ein Reinfall wird

Knapp ein Jahr planen und organisieren wir unsere Veranstaltungen nun entlang der sich stetig ändernden Corona-Bestimmungen und Einschränkungen. Monate, in denen wir digitale Technologien, Formate, Tools und Methoden entdeckt, erprobt, verflucht und bejubelt haben. Auch wenn sich einige Menschen wünschen, dass die digitale Entwicklung im Bildungsbereich lediglich eine Übergangslösung darstellt und es nach Corona wie gewohnt analog weitergeht, ist die überwiegende Auffassung der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in der Erwachsenenbildung, mit denen ich in den den letzten Monaten gearbeitet habe, dass es zu einer nachhaltigen positiven Veränderung im Bildungsbereich durch die Digitalisierung kommen wird und digitale Angebote weiterhin eine wichtige Rolle neben den analogen spielen werden.

Wenn ich in meinen Fortbildungen und Schulungen über genau diese digitale Angebote mit den Teilnehmer*innen spreche, lautet eine zentrale Frage: „Was kann ich tun, damit meine digitale Veranstaltung ein Reinfall wird?“, eine Frage, die einlädt, nicht immer ganz ernsthaft über Worst-Practise zu diskutieren und Erfahrungen zu reflektieren. Diese Reflexion spielt in der digitalen Transformation der Bildungsangebote eine wichtige Rolle, weil wir uns gerade zwangsläufig in einer Phase des „Ausprobieren-müssens“ befinden, einer Phase, in der ich immer wieder ermutige, Erfahrungen und auch Fehler zu machen und aus diesen zu lernen. Aus diesem Grund soll es in diesem Artikel um 10 Tipps gehen, mit denen auch Ihre digitale Veranstaltung garantiert ein Reinfall wird:

Tipp 1: Konzipieren Sie Ihre digitale Veranstaltung haargenau so wie eine analoge

Wenn wir etwas in den letzten Monaten gelernt und auch erfahren haben, dann die Tatsache, dass digitale Veranstaltungen und Formate anders sind als analoge. Viele Menschen empfinden digital als anstrengender und kräftezehrender, was natürlich mit der eingeschränkten und nicht immer ergonomischen Haltung vor dem PC aber auch mit der für viele ungewohnt langen Bildschirmtätigkeit zu tun hat. Auf der anderen Seite bieten digitale Formate auch komplett neue Möglichkeiten was Interaktion, Kommunikation, räumliche und zeitliche Unabhängigkeit sowie der Zugänglichkeit anbetrifft. So können zum Beispiel lange Vortragsphasen abgekürzt und durch interaktive Gruppenarbeiten mit Rückfrage- und Austauschoptionen im Plenum ersetzt werden, auch ist es möglich, asynchrone Elemente zwischen zwei Veranstaltungsphasen einzubauen. Warum also die Nachteile vorbehaltlos in Kauf nehmen und auf die Vorteile verzichten?

Tipp 2: Arbeitsblätter! Denken Sie unbedingt an Arbeitsblätter!

Wenn ich die schulische Bildungsarbeit betrachte, sehe ich vielerorts einen methodischen Rückschritt zu den klassischen Arbeitsblättern, die entweder per E-Mail, Post oder auch einer Software wie Moodle oder Teams zur Verfügung gestellt werden. Bei der Bearbeitung der Arbeitsblätter geht es weniger um die Wissensvermittlung als Lern- oder Bildungsziel, sondern um eine lineare Wissensabfrage. Lernziele wie die berühmten 4K: (Kritisches Denken, Kreativität, Kommunikation, Kollaboration), die Charakterbildung (Fragen der Persönlichkeit, Achtsamkeit, Neugier…) sowie das Meta-Lernen (das Lernen über das Lernen) finden hier leider keinen Platz.

Tipp 3: Setzen Sie sich bloß nicht mit Ihrer Arbeitsumgebung auseinander

Etwas gemeinsam mit den Teilnehmer*innen zu erleben, zu erfahren und erforschen ist ein wichtiger Prozess in einer Bildungsveranstaltung. Allerdings sind irgendwann die Grenzen der Selbsterfahrung erreicht, die Anwesenden müssen sich in einer digitalen Umgebung sicher und in guten Händen fühlen, zumal mit einem Mausklick eine Aufzeichnung oder ein Live-Stream gestartet werden kann. Daher ist es für Bildner*innen die beste nicht-inhaltliche Vorbereitung, die Dienste und Tools zu kennen, mit denen sie arbeiten. Grundlegende Sicherheitsfeatures und Moderationswerkzeuge wie Stummschaltung, Freigabe, Annotation sollten unbedingt beherrscht werden.

Phänomene wie das im Frühjahr 2020 kommunizierte Zoom-Bombing oder auch aktuellere rechtsextreme Übergriffe in Online-Gottesdienste sind kein Zeichen eines unsicheren Formates sondern vielmehr für einen Optimierungsbedarf der eigenen Bedienkompetenz.

Tipp 4: Machen Sie allen deutlich, dass Sie eigentlich gar keine Lust auf „Digital“ haben

Für einige Bildner*innen sind digitale Angebote lediglich ein Notnagel in der Coronazeit und es wird schon energisch der Rückkehr zu den guten, alten analogen Formate entgegen gefiebert. Ohne auf diese Einstellung näher eingehen zu wollen, habe ich eine Bitte: Lassen Sie sich Ihren Unmut nicht zu sehr anmerken, es sei denn, Sie wollen, dass Ihre Veranstaltung in der Tat ein Reinfall wird. Aus unserer Schulzeit kennen wir das Phänomen, dass die Qualität eines Unterrichtes mit der Einstellung und dem Engagement der Lehrkraft steigt und so verhält es sich auch in unserer ausserschulischen Bildungsarbeit. Manchmal ist es bei engagierter Antipathie sinnvoller, ein Angebot lieber sein zu lassen als es unter Zwang durchzuführen.

Tipp 5: Kümmern Sie sich nicht um Ihre Audio- und Videoqualität

Jede/r der/die schon an Videokonferenzen teilgenommen hat, wird bemerkt haben, dass die Qualität der verwendeten Mikrofone und Webcams der Teilnehmer*innen sehr unterschiedlich sein kann. Während wir ein schlechtes Bild noch verkraften können, wirkt sich eine schlechte Audioqualität negativ auf die Aufmerksamkeit der Teilnehmer*innen aus. Sie können also eine Veranstaltung methodisch und didaktisch perfekt vorbereiten – wenn Ihr Mikrofon unangenehme Störgeräusche produziert oder Sie schlecht zu verstehen sind, ist dies für die Teilnehmer*innen ein nicht allzu geringes Negativerlebnis. Achten Sie daher neben der Methodik und Didaktik auch auf die Mathetik, also das Lernen aus dem Blickwinkel der Schüler*innen bzw. Teilnehmer*innen. Das Problem ist allerdings offensichtlich: Ich bekomme nicht mit, wie andere mich hören. Hier können Sie das aktive Feedback verwenden, bitten Sie um Rückmeldung und weisen Sie andere respektvoll und höflich auf den schlechten Ton hin oder fertigen Sie einfach eine Aufzeichnung von sich selbst an, um sich dann selbst von Ihrer Qualität zu überzeugen.

Tipp 6: Vintage ist in! Verwenden Sie möglichst Hardware, die vor dem Jahr 2005 hergestellt wurde!

Wussten Sie, dass in Bereichen Italiens ein Flip-Flop Verbot herrscht? Vor allem in den Bergregionen kommt es immer wieder vor, dass Touristen in Flip-Flops auf Grund des schlechten Schuhwerkes in Not geraten und geborgen werden müssen. Nun, Sie können relativ sicher sein, dass im Falle eines 15 Jahre alten Laptops kein Rettungshubschrauber kommen wird, Sie werden aber die Not in Ihrer digitalen Veranstaltung spüren.

Bestimmte Dienste mit bestimmten Funktionen haben ganz einfach bestimmte Grundvoraussetzungen, daran können wir einfach nichts ändern. Wer beispielsweise den virtuellen Hintergund im Videokonferenzdienst Zoom nutzen möchte, benötigt mindestens einen Core-i5 Prozessor, wer in FullHD (1920x1080px) streamen möchte, einen Core i7. Wird zudem parallel der Whiteboarddienst Miro.com genutzt, für dessen Nutzung alleine bereits 4GB Arbeitsspeicher empfohlen werden, steigt natürlich die Systemlast.

Es wäre an dieser Stelle recht anmaßend zu schreiben, „dann kauft euch alle einen aktuellen Computer“, was ja auch vollkommen an der Realität der Zielgruppe vorbeigehen würde. Allerdings wäre jetzt vor allem für den Bildungsbereich ein guter Zeitpunkt zu sagen: „Wenn wir digitale Bildung machen sollen, dann brauchen wir...“ – genau so wie wir anständige Wanderschuhe für eine Bergtour benötigen. Daher ist die Auseinandersetzung mit einigen technischen Themen zum Leidwesen einiger unabdingbar,

Tipp 7: Präsentieren Sie möglichst frontal und ansteckend langweilig

„Wenn alles schläft und einer spricht, so nennt man dieses Unterricht“ witzelte schon Wilhelm Busch über den schulischen Frontalunterricht. Dieses kommunikativ recht einseitige Erlebnis ist ja erst einmal eine Methode, die in einem bestimmten Kontext wie beispielsweise einem Webinar mit 5000 Teilnehmer*innen vielleicht auch Sinn ergibt, einem Format, in dem es um die reine Vermittlung von Informationen von A nach B geht. Aber auch da wird neben dem eigenmotiviertem Interesse des Zuhörers ein Höchstmaß an Präsentationskompetenz für den Vortragenden abverlangt. Verwechseln Sie ein solches Format daher nicht mit Ihrer Bildungsveranstaltung, mit der Sie vielleicht auch eine extrinsisch motivierte Zielgruppe haben oder gar andere Bildungsziele verfolgen wollen als die reine Wissensvermittlung.

Tipp 8: Verhindern Sie unbedingt Kommunikation und Interaktion

Vielleicht haben Sie auch schon einmal bemerkt, dass ein großer Teil der interessanten und inhaltlich wichtigen Themen auf analogen Fachtagen in den Pausen, auf dem Flur oder bei einer Tasse Kaffee zwischendurch besprochen werden?  Einer der Gründe, warum sich kommunikative Veranstaltungsformate wie beispielsweise das Barcamp immer mehr durchsetzen. Auch haben viele schon die Erfahrung machen dürfen, dass mit dem Grad der persönlichen Einbindung und Beteiligung auch die Aufmerksamkeit und Motivation steigt. Trotz dieser Erkenntnis ist vermehrt zu beobachten, dass die Themen Kommunikation und Beteiligung in digitalen Formaten oftmals vernachlässigt werden. Das fängt an bei einem rein frontalen Format bis hin zur verpflichtenden Deaktivierung von Kamera, Ton und Chat.

Irgendwie ist es paradox. Auf der einen Seite wird bemängelt, dass digital so viel schlechter ist als analog, weil eben das Persönliche, die Interaktion und Kommunikation am Rande der Veranstaltung fehlt oder gänzlich anders ist, auf der anderen Seite sind so viele Veranstaltungen derart auf die Vermittlung der Inhalte fokussiert, ohne dass in irgendeiner Form an das Informelle und Persönliche gedacht wird, was zum Beispiel durch digitale Pausenräume leicht umzusetzen wäre.

Tipp 9: Ignorieren Sie sämtliche Weisheiten der Gesprächsführung und der themenzentrierten Interaktion

„Störungen haben Vorrang?“ Nicht mit uns! … Ab und zu erlebe ich es in Videokonferenzen, dass die Sitzung gnadenlos durchgezogen wird, obwohl sehr deutlich ist, dass einige Teilnehmer*innen gerade nichts hören, nichts sehen oder thematisch mit etwas anderem beschäftigt sind.

Die Regeln der Kommunikation in digitalen Gruppen unterscheiden sich gar nicht mal so weit von denen in analogen. Wenn jemand nicht zuhört oder mitmacht, kann es mehrere Gründe haben: Andere Meinung, Desinteresse, ein anderes Thema ist gerade wichtiger… Lediglich die technische Komponente kommt noch dazu. Nehmen Sie sich die Zeit herauszufinden, was den Arbeitsprozess gerade stört.

Tipp 10: Zeigen Sie Durchhaltevermögen und verzichten Sie auf Pausen

Immer wenn ich die Teilnehmer*innen in meinen Veranstaltungen nach ihren Worst-Practice Beispielen frage, kommt der Aspekt der Pausengestaltung. Es wurde bereits deutlich beschrieben, warum digitale Formate für viele Menschen anstrengender sind als analoge. Gönnen Sie diesen Personen öfter einmal eine Pause zum Aufstehen, zum Arme strecken, zum Luft holen etc. Planen Sie bei längeren Veranstaltungen ruhig alle 60 Minuten 5-10 Minuten eine Pause ein. Wenn gefühlt keine Zeit für Pausen vorhanden sein sollte, könnten Sie die zeitliche Struktur Ihrer Veranstaltung in Frage stellen. Vielleicht ist es möglich, ratsam und sinnvoll, einen 8 Stunden Fachtag mit 4×1,5 Stunden Vortrag lieber auf zwei Tage aufzuteilen?

Was sind Ihre Mißlingensfaktoren?

Ich denke, wir haben in der Vergangenheit ausreichend über Gelingensfaktoren gesprochen, daher lade ich Sie ein, in den Kommentaren zu ergänzen, was Sie für ein konstruktives Mißlingen digitaler Angebote an Ideen beitragen können, haben Sie vielen Dank!

9 Kommentare

  1. Eint Tipp fehlt noch- sich einen Tag vor einer Veranstaltung sich von Kollegen /innen überreden lassen für sie eine Veranstaltung zu übernehmen…

  2. Bei Moderation aus dem Homeoffice:
    Bitte deinen Partner / deine Partnerin, sich in Freizeitklamotten hinter dich auf die Couch zu setzen und Chips zu essen.

  3. Führen Sie als Dozierende in Einzelarbeitsphasen unbedingt Privatgespräche im allgemeinen Chatraum. Und während Sie sich ungehört fühlen, lästern Sie über Ihre Kursteilnehmer.

  4. Lasse Deine Veranstaltungen, in denen möglicherweise Zoom-Erstnutzer*innen kommen werden, nicht zu früh beginnen. 3 Minuten vorher reicht aus! Es ist Zeitverschwendung, eine halbe Stunde früher da zu sein und einen Technik-Check anzubieten. Schließlich hast Du anderes zu tun.

  5. 1) Setze dich unbedingt vor ein Fenster oder mach das Licht hinter dir an…
    und
    2) Bloß keine Abwechslung in die Trainings bringen durch die vielen digitalen Tools und virtuellen Möglichkeiten, denn dafür müsste man sich vorher damit auseinandersetzen

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