Das Buch von Harriet Köhler wurde noch vor der Corona-Krise geschrieben, bevor Wörter wie Ausgangsbeschränkung und Kontaktsperre in unseren Sprachgebrauch Einzug gehalten haben. Vom Daheimbleiben als verordneter Ausnahmezustand, ahnte die Autorin zum Zeitpunkt der Veröffentlichung (2019) nichts. Sie beschreibt in 14 Tagesetappen wie „Urlaub zu Hause“ geht, als „Plädoyer für weniger Reisen“ und als Beitrag zum umweltbewussten und nachhaltigen Urlaub. „Daheimbleiben“, so heißt es im Klappentext, biete die Chance, „das zu finden, was wir in der Ferne oft vergeblich suchen: eine entspannte, bewusstere Version von uns selbst.“
Für das „Zuhause-bleiben“, dem Gebot der Stunde in Zeiten von Corona, sind einige Vorschläge durchaus praktikabel. Vorneweg herausstreichen müssen wir allerdings: „Die Nachbarn kennenlernen“, dies ist nur mit dem nötigen Abstand, mit Zuwinken von Balkon zu Balkon oder einem Plausch über den Gartenzaun möglich. Was auch nicht geht, ist das Übernachten im Hotel um die Ecke und auch das Mittagessen im Lieblingsrestaurant müssen wir auf später verschieben. Elf der Reisetouren scheinen aber umsetzbar zu sein, angefangen beim „Offline gehen“ und beim „Nichts tun“, um so die Gelegenheit zu nutzen, im Hier und Jetzt und bei uns selbst anzukommen, inne zu halten, runter zu fahren und sich auf Wesentliches zu besinnen. Wir können aber auch raus gehen, „einen Spaziergang unternehmen“, „ins Grüne fahren“ (allerdings nicht scharenweise) oder einfach nur „in den Himmel gucken“. Wie wäre es, einmal mit Ruhe und Zeit „eine einfache Mahlzeit“ zuzubereiten“, vielleicht auch ein Lieblingsgericht aus der Kindheit oder vom letzten Urlaub. „Sich nassregnen lassen“ geht grundsätzlich auch, für den, der es mag und sofern es das Wetter erlaubt. Sogar „einen Museumsbesuch“ können wir machen, allerdings anders. Jetzt gilt es die digitalen Angebote zu nutzen, wie beispielsweise in Frankfurt, die von der Schirn Kunsthalle, dem Städel oder dem Liebieghaus.
Interessant erscheint mir außerdem der Reisetipp „Mit den Herzen reisen“, bei dem wir mit Hilfe von Reiseführern und Bildbänden sowie mit Infos aus dem Internet eine Traumreise planen und uns diese mit der nötigen Vorstellungskraft bis ins Kleinste hinein ausmalen können. „Hinfahren muss man nicht mehr, man war schließlich dort“ meint die Autorin. Etwas skurriler wird es dann mit der „Zimmerreise“, inspiriert vom Bestseller „Die Reise um mein Zimmer“ von Xavier der Maistre aus dem Jahre 1794. Der französische Autor beschränkt sich darauf, sich vom Lehnstuhl aus mit den Augen durch sein Zimmer zu bewegen, alles mit Neugier zu betrachten, so als sähe er es zum ersten Mal und sich dabei alles erdenklich Mögliche durch den Kopf gehen zu lassen. Die Zimmerreise ist also eine Einladung zu einer veränderten Art des Schauens. „…inmitten der Sedimente des Lebens, die sich in Form von allerlei Krimskrams in den Schubladen und Schmuddelecken in wahrscheinlich jeder unserer Wohnungen absetzen, können wir etwas entdecken, das uns auf den ersten Blick genauso fremd wie ein fremdes Volk erscheinen mag, vielleicht noch fremder. Wir können den Menschen entdecken, den wir vor lauter Hoffen auf die Zukunft und Sorgen um die Gegenwart manchmal völlig vergessen, nämlich den, der wir einmal waren, vor gar nicht allzu langer Zeit“ (S. 198).
Eine weitere Tour steht unter dem Titel „Sich auf die Spur der Vergangenheit begeben“, die Autorin empfiehlt darin, die Gedenktafeln und ihre Geschichten zu entdecken und nach den kleinen zeitgeschichtlichen Lektionen in der Umgebung Ausschau zu halten. Menschen, die sich gerne auch mal schreibend selbst entdecken, könnten sich außerdem auf eine biografische Reise begeben, gedanklich Orte und Plätze Ihrer Kindheit aufsuchen, die gut für sie waren, an denen sie sich wohlgefühlt oder gerne gespielt haben. Dies wäre ein ergänzender Tipp von mir. So bekommt der Blick in die Vergangenheit eine Verbindung zu unserem eigenen Leben und zu unseren inneren Ressourcen. Ich erinnere mich … – mit diesen drei Worten kann es losgehen.
Zuhause bleiben muss also gar nicht so schrecklich, so langweilig und trostlos sein, lehrt das Buch. Und die Corona-Krise könnte ja auch eine Chance sein, das Daheimbleiben neu zu lernen –es braucht ja zum Glück nicht auf Dauer sein.