Eine Studie von ARD und ZDF hat es uns gezeigt: 90% der Deutschen sind online! Besonders drastisch ist die Nutzungszeit der unter-30 jährigen mit fast sechs Stunden pro Tag. Das mediale Echo dieser Studie war vergleichsweise hoch – zumal ARD und ZDF als öffentlich-rechtliche Sender die wesentlichen Nachrichtenformate gestalten.
Gut, eine wichtige Aussage dieser Studie ist zum Einen: „Immer mehr Menschen nutzen immer mehr digitale Formate“, was natürlich auch bedeutet, dass wir vor allem im Bildungsbereich unsere analogen Lehr- und Lernszenarien umstellen bzw. anpassen müssen, um die Menschen zeitgemäß ansprechen zu können, wobei Umstellen nicht bedeutet, bewährte analoge Formate 1 zu 1 in den digitalen Raum zu übertragen oder diese komplett auszutauschen. Vielmehr ist eine sinnvolle Ergänzung durch digitale Szenarien gemeint und die Berücksichtigung neuer Zugangsgeräte wie Smartphones und Tablets.
Auf der anderen Seite – und das ist für diesen Artikel der ausschlaggebende Punkt – nehme ich aber wahr, dass in den Reaktionen auf diese und auch vergleichbare Studien die Qualität des „online-Seins“ allein durch die Nutzungsdauer definiert wird. „3 Stunden sind gerade noch so in Ordnung, 6 Stunden sind eindeutig zu viel und vor allem: Was machen die Leute da eigentlich so lange und muss das überhaupt sein?“.
Diese Fragen spiegeln für mich eine verkehrte Einstellung digitaler Medien gegenüber wieder. Als Maßstab für die Bewertung wird die uns bekannte und vertraute analoge Realität genommen und digitale Nutzungsmuster werden wie eine zweite Ebene darüber gelegt. Wenn etwas nicht passt, stimmt irgendetwas mit der digitalen Ebene nicht. Meiner Meinung nach entsteht durch die Digitalisierung jedoch eine komplett neue Ebene, die unter ganz neuen Kriterien und Maßstäben betrachtet werden muss, weshalb auch die Messung einer reinen „online-Zeit“ zur Nebensache wird, vor allem wenn nicht wirklich genau definiert ist, was „online-sein“ eigentlich konkret bedeutet. In diesem Fall wurde der recht weit greifende und nicht näher definierte Begriff „online-sein“ in ein zeitliches Muster gefasst und mit den Daten des Vorjahres verglichen, ohne die digitale Entwicklung des Umfeldes zu berücksichtigen. Den Leserinnen und Lesern bleibt hier nur die Möglichkeit, digitale Nutzungsmuster mit bekannten analogen zu vergleichen, sechs Stunden „online-sein“ gegen sechs Stunden „TV schauen“. Das sorgt für ein verzehrtes Bild.
Ein Beispiel: Wenn ich morgens zur Arbeit fahre, höre ich über Spotify auf meinem Smartphone Musik. Hier habe ich zwei Möglichkeiten: a) ich habe zu Hause die Playlist über ein W-LAN Netzwerk auf mein Gerät heruntergeladen und höre dann Musik „offline“ oder b) ich streame über das Mobilfunknetz meine Musik und bin also „online“. Letztendlich höre ich aber doch nur Musik. Bin ich wieder zu Hause, schaue ich etwas fern, allerdings nicht über die „offline“ Lösung Satellitenschüssel oder Kabelanschluss, sondern über die Zattoo-App auf meinem Smart-TV. Auch hier stellt sich die Frage: gilt das nun als „online sein“ oder nicht? Oder schaue ich einfach nur fern? Und was ist in der Zwischenzeit, in der mir Alexa, Siri und Co. über smarte Lautsprecherboxen meine musikalischen Wünsche erfüllen und mein Smartphone automatisch das Ziel meines nächsten Meetings mit dem Navigationsgerät meines Autos abgleicht? Als kleine Info am Rande: Seit Anfang 2018 müssen alle neu zugelassenen Kraftfahrzeuge in Deutschland mit einer SIM Karte ausgestattet sein und sind somit von Werk aus „online“…
Sie merken, die Frage nach dem „online-sein“ lässt sich in Zeiten internetfähiger Haushaltsgeräte, Smart-Lampen und den vielseitigen Möglichkeiten, die Smartphones, Smart-Homes und Smart-Cars bieten, nicht wirklich quantitativ beantworten, denn im Prinzip sind wir in irgendeiner Form ständig online. Vielleicht sind einfache Lösungen wie „wenig online-Zeit = gut, viel online-Zeit = schlecht“ im Jahr 2018 nicht mehr zielführend, vielleicht brauchen wir für eine digitale Gesellschaft völlig neue Bewertungskriterien? Vielleicht sehen wir dann die „online-Zeit“ in einem größeren oder sogar völlig neuen Zusammenhang in Verbindung mit unserem immer digitaler werdenden Alltag und vielleicht finden wir neue Kriterien und Anhaltspunkte für die Medienerziehung, den Umgang mit digitalen Stress und dem Ausschöpfen der zahlreichen Potentiale und Möglichkeiten digitaler Medien?
Fest steht für mich eins: Wir befinden uns gerade mitten in einem Umbruch von einer analogen in eine digitale Gesellschaft, ein Umbruch, in dem es zur Zeit mehr Fragen als Antworten gibt. Aber wir haben die Möglichkeit, diesen Umbruch aktiv mit zu gestalten, was aber auch voraussetzt, dass wir uns ein Stück weit von dem Alten und Bekannten lösen und uns auf etwas ganz Neues einlassen. Ich denke, wir können auf jede Fall gespannt sein, was meinen Sie?