Ein innovatives Konzept bildet den didaktischen Rahmen für Blended Learning: der Flipped Classroom. Dieser Ansatz stellt herkömmliche Lehrmethoden auf den Kopf und bietet eine effektive Möglichkeit, Lernprozesse zu verbessern und die Teilnehmenden aktiv in ihren Bildungsprozess einzubeziehen.
Der Begriff „Flipped Classroom“ leitet sich vom englischen „to flip“ ab, was so viel bedeutet wie „umdrehen, drehen, wenden“. Genau das passiert beim Flipped Classroom: Die traditionelle Unterrichtsorganisation wird auf den Kopf gestellt. Statt Inhalte im Seminar zu vermitteln, werden die Teilnehmenden angeleitet, sich die Inhalte im Vorfeld selbstständig anzueignen. Dies geschieht durch Lernmaterialien wie Online-Videos, digitale Lektionen, Artikel oder Podcasts, die ihnen vorab zur Verfügung gestellt werden. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, diese Materialien in ihrem eigenen Tempo und zu einem für sie passenden Zeitpunkt durchzuarbeiten.
Bei der Umsetzung dieser Technik spielt die Lernzieltaxonomie von Benjamin Bloom eine wichtige Rolle. Bloom, ein amerikanischer Psychologe und Erziehungswissenschaftler, entwickelte 1956 eine Kategorisierung kognitiver Lernziele in Form einer Pyramide. Je höher ein Lernziel in der Pyramide angesiedelt ist, desto schwieriger ist es zu erreichen und desto mehr Zeit und Mühe ist dafür erforderlich.
Im traditionellen Lernmodell werden die Lernziele auf den unteren Stufen der Taxonomie häufig im Präsenzunterricht vermittelt, wie z. B. das Erinnern und Verstehen von Informationen. Die höheren Lernziele, wie Anwendung, Analyse, Bewertung und Schaffung von Wissen, sollen die Teilnehmenden selbstständig erreichen, z.B. durch Hausaufgaben, praktische Anwendungen oder Projekte. Oft fehlt jedoch die Möglichkeit, Fragen zu stellen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Der Flipped Classroom-Ansatz kehrt diesen Ansatz um. Die Teilnehmenden bereiten sich selbstständig auf die unteren Stufen der Lernzieltaxonomie vor, indem sie die Lernmaterialien im Vorfeld durcharbeiten. In der Präsenzphase des Seminars wird das Wissen dann angewendet und die höheren Lernziele erreicht. Durch die Umkehrung des Lernmodells wird in der Präsenzphase mehr Zeit für die Arbeit an diesen höheren Lernzielen gewonnen. Die Seminarleitung kann die Teilnehmenden als Moderatorin, Beraterin und Unterstützerin begleiten und ihnen helfen, das Gelernte in realen Situationen anzuwenden und kritisches Denken zu fördern.
Die Methode hat viele Vorteile in der Erwachsenenbildung. Sie ermöglicht eine aktive Beteiligung der Teilnehmenden, ein individuelles Lerntempo und Selbstbestimmung. Durch die Umkehrung des traditionellen Lernmodells wird die Präsenzphase effektiver genutzt, um höhere kognitive Lernziele zu erreichen. Da die Teilnehmenden sich das Wissen vorab aneignen, können sie in der gemeinsamen Zeit mit der Seminarleitung und den anderen Teilnehmenden interagieren, Fragen stellen, diskutieren und das Gelernte praktisch anwenden.
Der Flipped Classroom-Ansatz fördert auch den Erfahrungsaustausch und die Zusammenarbeit zwischen den Teilnehmenden. Sie haben die Möglichkeit, ihr Vorwissen einzubringen, von den Perspektiven anderer zu lernen und gemeinsam an Aufgaben und Projekten zu arbeiten. Durch diese kooperative Lernumgebung wird das Lernen vertieft und nachhaltiger.
Der Einsatz digitaler Technologien spielt bei dieser Methode eine zentrale Rolle. Die Bereitstellung von Lernmaterialien über Lernplattformen, die Nutzung von Online-Kommunikationstools für den Austausch und die Zusammenarbeit sowie multimediale Ressourcen für ein abwechslungsreiches Lernerlebnis unterstützen die Umsetzung dieses innovativen Lehransatzes.
Für Erwachsenenbildner/innen, Trainer/innen und Seminarleiter/innen eröffnet der Flipped Classroom-Ansatz neue Möglichkeiten, ihre Seminare und Veranstaltungen nachhaltiger zu gestalten. Durch die Umkehrung des Lernmodells werden die Teilnehmenden aktiv in den Lernprozess einbezogen, ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gestärkt und ihre Motivation gesteigert.
Für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Technik ist eine sorgfältige Vorbereitung entscheidend. Die Erstellung qualitativ hochwertiger und ansprechender Lernmaterialien, die klare Kommunikation der Lernziele, die Schaffung einer kooperativen Lernumgebung und der Einsatz geeigneter digitaler Technologien sind dabei wichtige Schritte. Mit einer gut durchdachten Planung und Unterstützung können Erwachsenenbildnerinnen und Erwachsenenbildner den Teilnehmenden helfen, ihr Wissen zu erweitern, ihre Fähigkeiten zu vertiefen und ihre Lernziele zu erreichen.
Der Flipped Classroom-Ansatz in der Erwachsenenbildung ermöglicht eine innovative und effektive Gestaltung des Lernprozesses. Durch die Umkehrung des traditionellen Lernmodells werden die Teilnehmenden zu aktiven Lernenden, die ihr Wissen anwenden und kritisch denken können. Dies trägt dazu bei, ein nachhaltiges Lernen zu fördern und den Bildungserfolg der Teilnehmenden zu steigern.
Siehe hierzu auch das Erasmus+ Projekt der EU „Flipped Adult Education“