In der Gesellschaft herrscht oft ein falsches Bild davon, was „Behinderung“ eigentlich ist. Es wird erwartet, dass Behinderung immer körperlich sichtbar und klar definierbar ist. Aber nicht jede Behinderung ist sichtbar – dies gilt insbesondere für neurologische Unterschiede oder Neurodiversität. Im Rahmen der Erwachsenenbildung ist es wichtig, das Bewusstsein und Verständnis für Neurodiversität zu schärfen und den Umgang damit zu professionalisieren.
Neurodiversität: eine neue Perspektive
Neurodiversität ist ein Konzept, das die Vielfalt menschlicher Gehirne und Denkweisen anerkennt und wertschätzt. Es beinhaltet die Anerkennung, dass neurologische Unterschiede wie Autismus, ADHS, Dyslexie und andere nicht notwendigerweise als Störungen, sondern als natürliche, menschliche Variationen betrachtet werden sollten.
Im Kontext der Erwachsenenbildung bedeutet dies, dass wir anerkennen müssen, dass jeder Erwachsene anders lernt und dass es kein „richtiges“ oder „falsches“ Gehirn gibt. Neurodiverse Menschen bringen ihre eigenen Stärken und Fähigkeiten in den Lernprozess ein und sollten nicht als benachteiligt oder „behindert“ angesehen werden, nur weil sie anders lernen.
Bewusstsein und Verständnis
Ein professioneller Umgang mit Neurodiversität in der Erwachsenenbildung beginnt mit der Sensibilisierung und dem Verständnis der Lehrenden. Es ist wichtig, dass Lehrkräfte, Kursleitende und andere pädagogische Fachkräfte ein solides Verständnis von Neurodiversität und den damit verbundenen Unterschieden in Lernstilen und -fähigkeiten haben.
Schulungen können dazu beitragen, das Bewusstsein für Neurodiversität zu schärfen und Pädagogen mit den Werkzeugen auszustatten, die sie benötigen, um neurodiverse Erwachsene effektiv zu unterrichten. Dies kann auch eine Überprüfung der derzeitigen Lehrmethoden und -materialien beinhalten, um sicherzustellen, dass sie für alle Arten von Lernenden zugänglich sind.
Inklusive Praktiken
Die Umsetzung inklusiver Praktiken ist ein weiterer Schlüsselaspekt des professionellen Umgangs mit Neurodiversität. Dazu können beispielsweise flexible Lehr- und Lernmethoden, unterschiedliche Bewertungsmethoden und die Nutzung neuer Medien zur Unterstützung des Lernens gehören.
Es ist auch wichtig, eine offene und einladende Lernumgebung zu schaffen, in der sich alle Lernenden wohl und respektiert fühlen. Dies kann den Aufbau einer klaren Kommunikation, die Wertschätzung von Unterschieden und das aktive Streben nach Inklusion beinhalten.
Autismus und Kommunikation: ein konkretes Beispiel
Ein konkretes Beispiel soll diese Ideen veranschaulichen. Sophie, eine erwachsene Teilnehmerin mit Autismus, nimmt an einem Seminar zur Verbesserung der Gesprächsführung teil. Sophie ist intelligent, detailorientiert und engagiert. Sie hat jedoch oft Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen und kann nonverbale Signale nur schwer interpretieren.
In einem herkömmlichen Seminar könnte Sophie Schwierigkeiten haben, da diese oft auf intensiver Gruppenarbeit und Interaktion basieren. Durch eine Anpassung der Seminarstruktur und -methodik kann ihre Lernerfahrung jedoch verbessert werden.
Erstens könnte der Kursinhalt in kleinere, überschaubare Einheiten aufgeteilt werden, die Sophie in ihrem eigenen Tempo durcharbeiten kann. Anstatt sie sofort in eine Gruppendiskussion zu schicken, könnte die Seminarleitung klar definierte Lernziele und Konzepte vorstellen, gefolgt von individuellen Übungen, die Sophie helfen, ihre Fähigkeiten Schritt für Schritt aufzubauen.
Explizite, klare Anweisungen und konkrete Beispiele könnten auch dazu beitragen, abstrakte Konzepte verständlicher zu machen. Neue Medien könnten helfen, Rollenspiele und interaktive Übungen zu ermöglichen, in denen Sophie ihre Fähigkeiten in einer sicheren Umgebung üben kann.
Schließlich ist es wichtig, eine offene und unterstützende Lernumgebung zu schaffen. Sophie sollte ermutigt werden, Fragen zu stellen und ihre eigenen Stärken in den Kurs einzubringen. Außerdem sollte sie wissen, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen und dass sie auf die Unterstützung der Kursleitung und der anderen Teilnehmenden zählen kann.
Abschließende Gedanken
Die Reise hin zu einer breiteren Anerkennung und Wertschätzung der Neurodiversität in der Erwachsenenbildung hat gerade erst begonnen. Durch Sensibilisierung, Verständnis und inklusive Praktiken können wir einen Unterschied machen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass nicht alle Behinderungen sichtbar sind. Neurodiverse Menschen verdienen Anerkennung und Unterstützung in der Lernumgebung, nicht trotz, sondern wegen ihrer Unterschiede. Es ist an der Zeit, dass wir die Vielfalt menschlicher Gehirne und Denkweisen nicht nur anerkennen, sondern auch feiern und in unsere Lehr- und Lernpraktiken integrieren.
In der Erwachsenenbildung stehen wir an vorderster Stelle, wenn es darum geht, diese Veränderungen herbeizuführen. Indem wir ein Umfeld schaffen, in dem die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Lernenden berücksichtigt werden, können wir dazu beitragen, dass jeder Einzelne sein volles Potenzial entfalten kann. In einer solchen Welt ist nicht nur jeder willkommen, sondern jeder kann auch individuell erfolgreich sein. Und das ist es, was Erwachsenenbildung letztendlich bedeuten sollte.
Ich hoffe, dass dieser Beitrag zum Nachdenken anregt und das Bewusstsein für Neurodiversität in der Erwachsenenbildung weiter schärft. Haben Sie Fragen, Erfahrungen oder Ideen zu diesem Thema? Ich freue mich auf Ihren Kommentar oder Ihre Nachricht und stehe für einen konstruktiven und offenen Dialog zur Verfügung. Gemeinsam können wir die Erwachsenenbildung inklusiver gestalten.
Mir fehlt hier wie überall die Psychiatrie, Autismus usw. dann hört es auf und die Psychiatrie wird einfach nicht gedacht. Auch nicht sichtbar
Beste Grüße
Vielen Dank, für Ihren Kommentar. Könnten Sie bitte genauer erläutern, was Sie damit meinen und welche Rolle für Sie die Psychiatrie hier spielt.