Analoge Bildungsformate im digitalen Raum – Ideen für eine sinnvolle Umsetzung

Es scheint, dass der Bildungsbereich in diesem Jahr einen starken Wandel erlebt. Das Corona Virus und die damit verbundenen Einschränkungen lassen viele Veranstaltungen vor Ort ausfallen und auch zukünftig werden Bildungsakteur*innen mit Themen wie Hygienekonzept und Mindestabstand in analogen Szenarien konfrontiert werden.

Natürlich gibt es Fort- und Weiterbildungen, deren Inhalte und Methoden eine physische Präsenz erfordern – woran sich auch künftig nichts ändern wird. Für viele andere Angebote und Formate jedoch kann es aber sinnvoll sein, eine Erweiterung oder komplette Verlagerung in den digitalen Raum anzudenken.

In den letzten Wochen haben wir uns im Fachbereich Erwachsenenbildung und Familienbildung sehr intensiv mit möglichen digitalen Formaten und Szenarien auseinandergesetzt und diverse Erfahrungen gesammelt, die wir gerne teilen. Welche Möglichkeiten haben wir, eine analoge Veranstaltung online zu öffnen, so dass trotz einer Teilnehmer*innenbegrenzung eine größere Gruppe mitmachen kann? Wie können Methoden und Formate wie Barcamps, Fachtage, World Cafés, Fishbowls etc. im digitalen Raum aussehen? Was ist zu beachten, wenn eine analoge Veranstaltung digitalisiert wird?

Hybride Veranstaltungen öffnen den Raum

Bereits im letzten Jahr haben wir mit unserem smartphone ENTDECKEN Projekt sehr gute Erfahrungen mit hybriden Veranstaltungsformaten gemacht. Der Grundgedanke damals war, die Barrieren für eine Teilhabe an einer Veranstaltung im ländlichen Raum für die Altergruppe 55+ zu senken, in dem eine digitale Öffnung stattgefunden hat. Über Funkmikrofone sowie eine PTZ Kamera – eine Webcam, die per Fernbedienung steuerbar ist, sich drehen kann und über einen optischen Zoom verfügt – wurden alle Inhalte in eine Zoom-Videokonferenz übertragen, in der sich weitere Teilnehmer*innen und der Referent befanden. Durch die Darstellung der Videokonferenz über einen Beamer hatten die Teilnehmer*innen vor Ort den Eindruck, als wäre die Projektionsfläche lediglich ein Fenster in einen anderen Raum, in dem sich weitere Menschen befanden. Eine intensivere Auseinandersetzung mit diesem Setting ist hier nachzulesen.

Bildung im digitalen Raum

Manche Formate allerdings können komplett in den digitalen Raum verlagert werden. Die Argumente der letzten Jahre hierfür (Fahrtkosten sparen, kein ganzer Tag Urlaub…) waren zwar immer nachvollziehbar, haben allerdings nie zu einer flächendeckenden Auseinadersetzung mit dieser Thematik geführt. Erst die Kontaktsperre und das Versammlungsverbot in der Corona-Krise haben eine Zwangssituation geschaffen, in der lediglich neue Formate eine Lösung darstellen konnten.

Das Online-BarCamp

Barcamps sind an und für sich schon eine tolle Sache. Entgegen des Konzeptes eines klassischen Fachtages kommen sowohl Expertise als auch Themen von den Teilnehmer*innen, die in einem Sessionplan (zeitliche und räumliche Planung der thematisch arbeitenden Gruppen) den Programmablauf gemeinsam festlegen. Ein offenes und sehr kommunikatives Format, in dem jede*r auf seine*ihre Kosten kommt.

Einen der wohl ersten Versuche, ein Barcamp komplett online zu realisieren, habe ich Anfang des Jahres von David Röthler mitbekommen, der gemeinsam mit wienXtra ein solches organisierte. Diese Erfahrungen sowie die Rückmeldungen von Dr. Eike Rösch haben für uns den notwendigen Input geliefert, im April das Barcamp Bildung-Digital in den Online-Raum zu verschieben. Der dazugehörige Erfahrungsbericht ist hier im Blog nachzulesen, inklusive einer kritischen Reflexion für das kommende Online-Barcamp im September. Aber auch andere Bildner*innen, wie beispielsweise Nele Hirsch, haben neue Schritte gewagt und ihre Erfahrungen sowie hilfreiche Tipps zur Durchführung eines Online-Barcamps niedergeschrieben.

Digitale Fachgespräche / Podiumsdiskussionen

Formate wie diese lassen sich sehr leicht durch ein Videokonferenztool umsetzen. Eine Anforderung an die verwendete Software ist, dass festgelegt werden kann, welche Webcams aktiv und welche Mikrofone stummgeschaltet sind. Wie in unseren EDUtalks können dann entweder die Diskutant*innen oder auch die Gäste für alle sichtbar übertragen werden und über eine Diskussion oder ein Interviewsetting einen inhaltlichen Input liefern.

Fishbowl

In der etwas moderneren Form der Podiumsdiskussion gibt es für interessierte Mitdiskutant*innen aus den Reihen der Zuschauer*innen einen weiteren Platz. Dieser kann sehr schnell und einfach in einer Videokonferenz zugeteilt werden, in dem sich interessierte Teilnehmer*innen über die Meldefunktion bemerkbar machen und vom Host der Konferenz temporär freigeschaltet werden. Auf diese Weise kann die Beteiligung der Zuschauer*innen ermöglicht werden.

World Café

Mit dieser Methode findet der zielgerichtete Austausch der Teilnehmer*innen an unterschiedlichen Tischen statt, an denen sie von der Gastgeber*in begrüßt werden. Um diese Methode im digitalen Raum umzusetzen, ist es erforderlich, dass die Videokonferenz-Software über sogenannte Breakout-Räume (virtuelle Kleingruppenräume) verfügt, in denen sich die Teilnehmer*inen autonom bewegen können. Mit der Software Zoom.us zum Beispiel ist möglich, diese Räume vorzubereiten, allerdings müssen die Teilnehmer*inen zu Co-Moderatoren befördert werden, damit ein eigenständiger Wechsel der Breakout Räume möglich wird. Hier werden sie dann begrüßt und können thematisch am Whiteoard oder einem anderen externen Online-Tool arbeiten. Vier mögliche Tools haben wir in einem der letzten EDUtalks bereits vorgestellt.

Workshops

Um Workshops im digitalen Raum anbieten zu können, ist es genau wie beim World Café erforderlich, dass die Videokonferenz-Software virtuelle Kleingruppenräume unterstützt. Ansonsten bliebe nur die Alternative, mit mehreren separaten Videokonferenzräumen zu arbeiten, was aber auch erhöhte Anforderungen an die verwendete Technik stellt und voraussetzt, dass mehrere Lizenzen vorhanden sind. Die Teilnehmer*innen melden sich im Vorfeld für ihre Workshops an und werden dann nach einer Begrüßung in der zentralen Videokonferenz vom Host in die jeweiligen Breakout-Räume verschoben. Bei größeren Gruppen hat es sich bewährt, den Namen der Teilnehmer*innen eine Workshop-Zahl voranzustellen, was über die Funktion „umbenennen“ geschieht. So wird aus „Tobias“ „1-Tobias“, womit alle Workshop 1 Interessent*innen in der Teilnehmer*innenliste direkt untereinander stehen, was eine Raum-Zuordnung durch den Host wesentlich erleichtert.

Keynote / Vortrag

Weniger interaktiv und auf die reine Vermittlung von Inhalten fokussiert ist der klassische Vortrag. In dieser Methode ist es wichtig, dass lediglich der Vortragende für alle zu sehen ist. Dies ist entweder über eine Webinar-Software zu erreichen, in der die Zugriffsrechte auf die Kameras für alle Teilnehmer*innen eingeschränkt sind oder bei der Videokonferenzlösung Zoom über die Spotlight-Video Funktion, mit der ein bestimmtes Fenster für alle Zuschauer*innen erzwungen werden kann, unabhängig von der gewählten Galerie- oder Sprecher*innenansicht. Im Vergleich zu den vorhergehenden Methoden ist dies die am wenigsten interaktive, was aber je nach Zielgruppe und Gruppengröße auch seine Berechtigung haben kann.

Konferenz / Tagung

Bei einer mehrtägigen Konferenz oder Tagung ist es unter Umständen sinnvoll, als zentralen Zugangspunkt eine Website zu gestalten, auf der sämtliche Zugänge, Informationen und Beteiligungsmöglichkeiten aufgelistet, eingebunden und verlinkt sind. Hier ist zum Beispiel eine Kombination aus Vorträgen, Workshops und Kleingruppenarbeit wie in den oben genannten Beispielen in mehreren Videokonferenz-Räumen oder Breakout-Räumen möglich. Allerdings muss dringend beachtet werden, dass ein Angebot mit der Steigerung der parallelen Anwendungen komplexer und auch komplizierter für die Teilnehmer*innen wird. Dieser Punkt stellt somit erhöhte Anforderungen in Bezug auf Transparenz und Struktur an die Veranstalter*innen.

Live-Podcast

Podcasts sind eigentlich schon ein digitales Format und derzeit sehr gefragt. Der Frage nachgehend, in wie weit ein Podcast interaktiv gestaltet werden kann, haben wir seit Beginn des Jahres mit Gedankenflimmern einen interaktiven Video-Podcast in einer Testphase laufen. Interesse wie es läuft? Kommen Sie einfach mal vorbei 😉

Arbeiten in virtuellen Räumen

Die konzeptionelle Raumfrage ist bei der Veranstaltungsplanung nur ein Punkt unter mehreren. Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht in der Möglichkeit, gemeinsam in einem digitalen Raum zu arbeiten, sei es an Dokumenten, digitalen Flip-Charts oder Metaplan-Karten. Auch wenn viele Videokonferenz-Programme ein integriertes Whiteboard anbieten, ist es oftmals sinnvoll, auf externe online Tools zurückzugreifen. In unseren letzten Webinaren haben wir einige vorgestellt.

Kennenlernen vor und während der Veranstaltung

Ein wichtiger Punkt ist das Kennenlernen und die Gruppendynamik.  Kennenlernprozesse können bereits vor einer Veranstaltung initiiert werden, zum Beispiel über eine digitale Vorstellungsrunde über ein Pinnwandtool wie Padlet, über gemeinsame Treffen im Vorfeld, in denen die Videokonferenz-Software schon mal getestet werden kann, etc. Auch ist es ratsam, in einer digitalen Veranstaltung ausreichend Räume für den informellen Austausch und für Pausen einzurichten.  Social Energizer und Spiele können förderlich für die Gruppendynamik sein und das für viele Teilnehmer*innen befremdliche Setting einer digitialen Veranstaltung auflockern. Eine schöne Übersicht der Möglichkeiten wurde von Jörg Lohrer zusammengestellt und ist hier zu finden, aber auch die junge Akademie Wittenberg hat sich schon einige sehr gute Gedanken dazu gemacht.

Konzeptionelle Fragen und Gedanken

Ganz entscheidend ist, dass wir in Bezug auf den digitalen Raum anfangen müssen, Bildungsangebote neu zu überdenken und zu planen. Methoden und Rahmenbedingungen, die wir in der Vergangenheit bei analogen Veranstaltungen angesetzt haben, können wir nicht eins zu eins in den digitalen Raum übertragen. Das fängt bei der Dauer der Veranstaltung und den geplanten Pausen an und geht bis zur Erlenntnis, dass jede/r Teilnehmer*in mit der Qualität des eigenen Mikrofons einen eigenen Anteil am Erfolg der Veranstaltung hat. Zentrale Punkte bei einer digitalen Veranstaltung sind eben nicht nur die didaktischen und methodischen Überlegungen, sondern auch die vermittelten Veranstaltungs- und Kommunikationserlebnisse der Teilnehmer*innen. Diese Punkte werden u.a. in einem Artikel im Medienpädagogik Praxis Blog ebenfalls heute aufgegriffen.

Die Erfahrungen vergangener Veranstaltungen haben zudem gezeigt, dass es überaus hilfreich sein kann, als Moderatorenteam einen eigenen Kommunikationskanal zu haben, sei es über eine Messengergruppe oder einen Chat. So können kurzfristige und spontane Themen besprochen und Absprachen getroffen werden.

Ausprobieren und Fehler zulassen

Derzeit beobachte ich,  dass es gerade viel Bewegung im Bereich der digitalen Bildung gibt. Viele engagierte Bildner*innen probieren sich in unterschiedlichen Formaten mit unterschiedlichen Ergebnissen aus. Ich denke, eins steht fest: wir haben es im Bereich der digitalen Bildung nicht mit Musterlösungen oder kompakten Anleitungen zu tun, sondern stehen gerade am Anfang neuer Möglichkeiten. Daher finde ich es besonders wichtig, dass wir weiterhin ausprobieren, Fehler zulassen, gnädig mit Fehlern anderer umgehen und unsere Erkenntnisse mit der Allgemeinheit teilen. Wir sollten die Möglichkeit nutzen, dass die derzeit stattfindende Entwicklung neuer Formate nicht nur eine notwendige Reaktion auf die Coronakrise ist, sondern den Bildungsbereich langfristig positiv verändern kann.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen tollen und ausführlichen Artikeln. Das stimmt, der Bildungsbereich muss sich stark verändern, und ihr gebt hier eine ganze Menge toller Ideen und Inspirationen. Daher noch einmal ein dickes Dankeschön!

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