Eigentlich wollte ich nie in die Erwachsenenbildung, ich dachte, das ist mir zu akademisch, da geht es um Studientage und Studienbriefe und weniger um ganzheitliches Lernen, wie ich es in der Jugendbildungsarbeit über 15 Jahre gelebt und erfahren habe. Doch dann bot sich die Gelegenheit und ich griff zu und wurde eines Besseren belehrt. Auch in der Erwachsenenbildung gibt es ein Lernen mit Herz, Kopf und Bauch. Ein leibhaftiges und lebendiges Lernen – schöpferisch und inspirierend. Heute bin ich froh und dankbar, an diesem Platz gelandet zu sein. Als Referentin für Erwachsenenbildung habe ich vor fast 10 Jahren einen weiten Raum vorgefunden, einen Gestaltungsraum, der mir von der Leiterin des Fachbereichs gewährt wurde. Ich durfte mich ins Spiel bringen, mit meinen Werten und meiner Haltung. Ich durfte eigene Akzente setzen, kreative Ideen verwirklichen und viele interessante Menschen kennenlernen: Kursleiter*innen, Trainer*innen, Kooperationspartner*innen, Seminar-Teilnehmer*innen und Arbeitskolleg*innen.
Nach fast 35 Jahren geht mein Dienst in der EKHN zu Ende, am 28. April werde ich zusammen mit meiner Kollegin Angela Heine im kleinen Kreis in einem Gottesdienst verabschiedet. Angefangen habe ich im Oktober 1987 als Jugendbildungsreferentin im Amt für Jugendarbeit der EKHN. Mit dem Abschluss eines berufsbegleitenden Studiengangs zur Kommunikationswirtin (1999) wurde ich auf eigenen Wunsch zunehmend mit Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit beauftragt, zunächst innerhalb der Evangelischen Jugendarbeit, 2004 übernahm ich das Presse- und Öffentlichkeitsreferat für das Zentrum Bildung der EKHN. 2013 kehrte ich wieder zurück zu meinen pädagogischen Wurzeln und arbeitete fortan als Referentin für Erwachsenenbildung, mit dem Schwerpunkt öffentliche Weiterbildung / Kompetenzen für die Bildungsarbeit. Fortbildungen zur Biografiearbeit, kreative Schreibworkshops, Kurse zur Themenzentrierten Interaktion, Seminare zu Präsenz und Haltung und zur selbstbewussten Gestaltung des Eigenen, gehörten mit zum Angebotsspektrum.
Ich blicke auf ein bewegtes Berufsleben zurück, war viel mit Gruppen unterwegs, an unterschiedlichen Orten und mit verschiedenen Themen im Gepäck: Politische Bildung. Ökologische Bildung. Persönlichkeitsbildung. Dankbar bin ich für die vielen guten Begegnungen und anregenden Gespräche, mein ganzes Berufsleben war reich gefüllt damit. Das Thema Kommunikation zieht sich wie ein roter Faden durch meine Berufsbiografie. Während ich als Öffentlichkeitsarbeiterin Konzepte entwickelte für die interne und externe Kommunikation, durfte ich als Bildungsarbeiterin Kommunikation unmittelbar mitgestalten, eine Kultur der Wertschätzung lag mir besonders am Herzen.
Drei Dinge sind mir wichtig geworden, ich fasse sie unter die Stichworte: Inspiration, Ermutigung und Zusammenspiel zusammen.
Ich habe für den Raum der Inspiration gesorgt, durch die Wahl der Themen, der Orte und der Personen (z.B. Kursleiter*innen, Trainer*innen) sowie durch die Art der Gestaltung (Prozesse, Methoden, auch virtuelle Räume und seitenweise Papier). In der Bildungsarbeit war es mir wichtig, dass die Teilnehmenden Ermutigung und Stärkung für ihre Persönlichkeit sowie ihren eigenen Weg erfahren und ihre Ressourcen aktivieren können. In der Öffentlichkeitsarbeit war es mein Anliegen, das Wertvolle, das manchmal im Verborgenen bzw. im Schatten geschieht, ans Licht zu holen. Ziel war es, den Raum des Lernens auszuleuchten, damit er für andere sichtbar wird. Als Veranstalterin habe ich Menschen eingeladen in einen Raum des miteinander Lernens, in Zusammenarbeit mit Kursleiter*innen, die mit ihrer Persönlichkeit und Kompetenz überzeugen konnten.
Von Martin Buber stammt das Zitat: „Ich habe keine Lehre, ich führe ein Gespräch“, mit diesem Satz kann ich mich gut anfreunden. Noch treffender heißt der Satz für mich: Ich habe keine Lehre, ich lasse Raum. Ich lasse Raum für den Prozess, für die Entwicklung und für die Begegnung. Vor allem dem Zusammenspiel im Raum wollte ich dienen. Mal habe ich im Hintergrund für diesen Raum gesorgt, mal ihn eröffnet, ihn begleitet, mal habe ich in gestaltet, gerahmt, gehalten. Es ist der Raum, indem wir uns in „lebendiger Gegenseitigkeit“ (M. Buber) erfahren, uns Gehör und Resonanz schenken, uns achtsam wahrnehmen, uns selbst leiten lernen. Es geht mir um das kooperative Zusammenspiel, das mehr Mitspieler*innen braucht und weniger Alleinunterhalter*innen. Einen Raum des gemeinsamen Suchens und Findens, Gebens und Nehmens. Im Kern geht es mir um den Raum, in dem sich das Gute entwickeln, das Wahrhaftige und Eigene zeigen und das Potenzial der Gruppe entfalten kann.
Die Bildungsarbeit, die mein Arbeitsleben zum großen Teil geprägt hat, ist nicht spurlos an mir vorbeigegangen, sie hat auch meine eigene persönliche Entwicklung herausgefordert und gefördert. Ich war selbst Nutznießerin der Workshops und Seminare, der Bildungsurlaube und Fortbildungsangebote, die ich veranstaltet, geleitet oder begleitet habe. Mein Lerngewinn und meine Lernfreude sind ein kostbarer Lebensschatz, den ich mitnehme in die nachberufliche Phase und den ich würdigen will. Ich durfte mich weiter entwickeln und ich durfte wachsen – auch an schwierigen Prozessen und in so manchen beruflichen Krisenphasen.
Zum Ende meines Berufslebens locken mich wieder der Anfängergeist und der offene und weite Raum, der kreative Spielraum, der Freiraum, der Raum der Möglichkeiten. Ich freue mich darauf, ihn zu entdecken, zu erkunden und zu erobern. Mir meinen Raum zu nehmen, ihn zu gestalten und das zum Vorschein zu bringen, was noch an Gaben entfaltet, was noch an Träumen gelebt werden will.
„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen“ (Astrid Lindgren). Auch darauf freue ich mich, auf die Zeit, auf den Luxus, die Zeit verstreichen zu lassen, die Zeit der Muße. „Ich bin jetzt darauf eingestellt, Zeit vergehen zu lassen und auf ein Wunder zu warten. Wer das tut, verhält sich friedlich und bleibt doch wach genug, um nichts zu verpassen.“ (Sten Nadolny, Netzkarte, 1981)
Zum Abschied sage ich Danke: Danke für das mir entgegengebrachte Vertrauen, das Wohlwollen und die Wertschätzung. Danke für Inspiration und Ermutigung. Danke für Rat und Unterstützung. Danke für das freundliche Miteinander, das gemeinsame Suchen und Finden nach Wegen und Antworten. Danke für das Lachen und das Weinen; Danke für eure Geschichten und die gemeinsame Zeit. Von Herzen sage ich Danke.
Elke Heldmann-Kiesel, 6. April 2022