Im Märchen „Der Fischer und seine Frau“, da will die Ilsebill nicht so wie ihr Mann. In ihrer unersättlichen Gier nach Macht und Pracht schickt sie den gutmütigen Fischer wieder und wieder an die Waterkant, um von einem gewogenen Freund und Gönner, einem sprechenden Butt, immer neue Reichtümer und Ehrentitel zu verlangen. Wir wissen schon: Das geht nicht gut, im Märchen zumindest. Am Ende überspannt die ehrgeizige Frau den Bogen und das Paar findet sich – aller Geschenke und Dekorationen beraubt – wieder dort, wo alles begann: in einer armseligen Fischerhütte, wahrscheinlich ohne Strom und fließend Wasser.
Bei einigen Familien in diesem Reichen Land ist dieses Jahr Ebbe unterm Tannenbaum. Richtiger gesagt: Es sind dieses Jahr ein paar Familien mehr, bei denen das so ist. Das ist eine doppelt bittere Wahrheit. Denn die weniger Privilegierten in unserem Land und erst recht in unserer Welt zahlen zuerst die lange Rechnung überzogener Forderungen und Ansprüche, die der reichere und kleinere Teil der Menschheit zuletzt an den Planeten gestellt hat. Und wir, die Reichen, leben schon lange auf Kosten der Armen, der Hungernden und Sterbenden dieser Welt, die den Preis für unser gutes Leben zahlen müssen.
Doch auch das Leben der Wohlhabenden, wenn auch noch nicht der Reichen, verändert sich gerade dramatisch. Nahrung, Heizung, Daseinsvorsorge, Dienstleistung: Alles, was bisher selbstverständlich und billig einfach da war, ist zum raren und teuren Gut geworden. Das ist eine außergewöhnliche und erschütternde Erfahrung. Und so beschlich mich gestern, nach dem abendlichen Märchenvorlesen, der vage Gedanke: Der Reichtum, an den wir uns so gut gewöhnt haben, der ist märchenhaft gewesen. Die ganzen Fantastilionen nur auf Pump gewährt von einem großen und allzu großzügigen Gönner und gewogenen Freund. Was für ein Schreck. Der Fischer kommt in sein Haus zurück und findet dort seine Frau, die zuletzt König, dann Kaiser und schließlich Papst gewesen war und der es doch nicht reichte und nun noch um das äußerste gebeten hatte: Ich will sein wie der liebe Gott. Und da steht sie, nachdem der Mann getreulich ihren Wunsch beim Butt erbeten hatte, wieder in der Fischerhütte, die ungefähr so armselig sein dürfte wie der Stall zu Bethlehem. Und so hat der Butt auch den letzten und äußersten Wunsch der Frau noch erfüllt. Denn Gott wohnt in der Fischerhütte. Gesegnete Weihnacht.