ForuM-Studie: Wie geht Hessen-Nassau mit dem Thema sexualisierte Gewalt um?

Am 25. Januar 2024 wurde die unabhängige Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche „ForuM“ veröffentlicht. Wie geht Hessen-Nassau mit grenzüberschreitenden Handlungen, sexualisierter Gewalt und dem Thema Missbrauch um?

Die EKHN hat sexualisierte Gewalt seit zwei Jahrzehnten zu einem Schwerpunkt ihrer Präventionsarbeit gemacht. Betroffenen Menschen hilft die EKHN schon heute individuell und unbürokratisch. Dies kann nur ein Teil der Arbeit sein.

Um auch systemisch bedingte Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie zu kennen und gegen sie vorgehen zu können, hatte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 2018 die Aufarbeitungsstudie ForuM beschlossen. Durchgeführt wurde sie von unabhängigen Forschenden von verschiedenen deutschen Universitäten und Instituten. Am 25. Januar 2024 hat der Forschungsverbund ForuM schließlich die Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der Evangelischen Kirche und Diakonie Deutschland veröffentlicht.  

Wir bei der EKHN studieren die Ergebnisse der Missbrauchsstudie gründlich und nehmen diese sehr ernst. Auch das bundesweite Beteiligungsforum der EKD, in dem betroffene Personen vertreten sind, wird sich mit der Studie beschäftigen, und es werden Gespräche mit der EKHN und den anderen Landeskirchen stattfinden. Ziel des Beteiligungsforums ist es, der EKD-Synode im November 2024 Maßnahmen vorzulegen.

Volker Jung: Risiken besser erkennen

Auch wir bei der EKHN werden selbstverständlich neue Erkenntnisse in unsere Arbeit einfließen lassen, um von sexualisierter Gewalt betroffene Personen besser zu unterstützen und um geschehenes Unrecht aufzuarbeiten und neues zu verhindern. „Sexualisierte Gewalt zu bekämpfen, betroffenen Personen Recht zu verschaffen und ihr Leid anzuerkennen, ist der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und auch mir persönlich seit vielen Jahren ein besonderes Anliegen“ erklärte Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN. Der Kirchenpräsident stellt aber auch fest, dass die ForuM-Studie „erschreckende Hinweise auf institutionelles Versagen gibt.“ Deshalb bittet er darum, über die Zahlen hinauszuschauen, die heute veröffentlicht wurden. Er erläutert: „Zum einen, weil ich ahne, dass das Dunkelfeld größer ist. Zum anderen, weil hinter den Zahlen Menschen stehen. Menschen, die Leid erfahren haben, und zwar in einem Umfeld, das von Gottes Gnade und Nächstenliebe geprägt sein sollte.“

Kirchenpräsident Jung versichert, dass in der EKHN die Studienergebnisse genau studiert werden. Mit der EKD und dem Beteiligungsforum zusammen sollen Ableitungen getroffen werden. „Diese Ergebnisse werden uns helfen, Risiken in unseren kirchlichen Strukturen zu erkennen und in unsere Schutzkonzepte einzuarbeiten. Ein Blick auf die Empfehlungen zeigt, dass seit 2020 schon wieder einiges geschehen ist. Das zeigt: Wir lernen. Ich verspreche: Wir wollen und werden weiter lernen“, so Kirchenpräsident Jung.

Zudem betont er: „Wenn sich von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen jetzt ermutigt fühlen, sich bei uns zu melden, begrüße ich das sehr. Wir werden alles daransetzen, Verdachtsfällen nachzugehen und Fälle aufzuarbeiten.“

Kirsten Fehrs: ForuM-Studie verpflichtet 

Bischöfin Kirsten Fehrs, die EKD-Ratsvorsitzende, hatte die Studie in Hannover entegen genommen. Sie sagte: „Wir sind auch als Institution an unzählig vielen Menschen schuldig geworden. Und ich kann Sie, die Sie so verletzt wurden, nur von ganzem Herzen um Entschuldigung bitten.“ Diese Bitte um Entschuldigung könne aber nicht unverbunden stehen, so die amtierende Ratsvorsitzende: „Sie ist unbedingt auch Verpflichtung! Sie kann nur glaubwürdig sein, wenn wir auch handeln und Verantwortung übernehmen. Mit Entschlossenheit also ganz konkrete Maßnahmen auf den Weg bringen, die greifen.“

Anlaufstellen für von sexualisierter Gewalt betroffene Personen

Wenn sich von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen jetzt ermutigt fühlen, sich bei der EKHN zu melden, begrüßen wir das sehr.

Eine erste Anlaufstelle ist die Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt der EKHN, die erreichbar ist unter geschaeftsstelle@ekhn.de oder unter 06151-405 106. Ein anonymes Meldeportal gibt es unter https://ekhn.integrityline.app/.

Außerhalb der EKHN gibt es ebenfalls Anlaufstellen, diese sind beispielsweise hier zusammengefasst.

Zahlen der EKHN in Forum-Studie

Die ForuM-Studie erfasst Verdachtsfälle und bestätigte Fälle, in denen eine erwachsene, bei der EKHN haupt- oder ehrenamtlich beschäftigte Person sexualisierte Gewalt an Minderjährigen ausgeübt hat oder der Verdacht bestand. Davon sind in der EKHN im erfragten Zeitraum von 1945 bis 2020 45 Fälle bekannt. Diese Zahl haben wir den Autor:innen der ForuM-Studie übermittelt. Nach unserem aktuellen Kenntnisstand waren die Täter*innen und beschuldigten Personen überwiegend Pfarrpersonen.

EKHN bereits seit zwei Jahrzehnten aktiv gegen sexualisierte Gewalt

In der EKHN prägen die Erfahrungen aus der Aufarbeitung der Schicksale von Kindern in evangelischen Heimen, wie wir von sexualisierter Gewalt betroffene Personen begleiten. Hier leistete die EKHN insofern Pionierarbeit, als dass von Anfang an betroffene Personen einbezogen waren. Diese Ansätze waren bundesweit wegweisend und flossen auch in den Aktionsplan der EKD gegen sexualisierte Gewalt ein.

Ein wichtiger Schritt, um gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen, war die Verabschiedung des Gewaltpräventions-Gesetzes von 2020. Es fasst zahlreiche Einzelmaßnahmen auch aus den Jahren und Jahrzehnten zuvor zusammen und definiert unter anderem klare Standards zu verpflichtenden Schutzkonzepten in kirchlichen Einrichtungen. Es stellt außerdem verbindliche Verhaltensanforderungen an Haupt- und Ehrenamtliche, wie zum Beispiel ein Distanz- und Abstinenzgebot in besonderen Macht- und Vertrauensverhältnissen und bei besonderen Abhängigkeiten auf. Verbindlich werden darin neben der Prävention auch Intervention und Aufarbeitung festgelegt.

Im Oktober 2022 hat in Hessen-Nassau eine unabhängige Anerkennungskommission ihre Arbeit begonnen. Sie ist von der Kirchenleitung der EKHN berufen worden, um die Verantwortung der Kirche für erlittene sexualisierte Gewalt im Raum der EKHN und ihrer Diakonie durch Anerkennungsleistungen zum Ausdruck zu bringen. Eine solche Leistung kann erlittenes Unrecht selbstverständlich nicht ungeschehen machen, aber sie will zeigen, dass Vorfälle aufgearbeitet werden und betroffene Personen Recht erfahren sollen.

2023 nahm dann die oben erwähnte Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt ihre Arbeit auf. Das interdisziplinäre Team ist direkt dem Kirchenpräsidenten zugeordnet und arbeitet unter Einbindung einer betroffenen Person.

Pressemitteilung EKHN, 25.01.2024

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